Meine Meisterin stellt drei Konen mit Seidengarn vor mich auf den Tisch.
"Daraus macht Du jetzt einen Rapport für einen Kleiderstoff."
Ich denke: "Was für scheussliche Farben. Die hätte ich mir nie ausgesucht.
Wie soll daraus etwas Schönes werden?"
So geschah es während meiner Lehrlingszeit in der Werkstatt von Hildegard Osten in Lübeck. Ich weiss, dass ich so nur dieses eine Mal dachte.
Denn das Wunder geschah: Aus den scheusslichen Farben, die ich niemals selber ausgesucht hätte, wurde ein sehr aparter Stoff. Und ich lernte gleich mehreres:
Jedes Mal ist es wieder spannend mit neuer Farbauswahl zu arbeiten.
Farben miteinander in eine Fläche gebracht, verändern sich.
Die eine Farbe reagiert auf die andere.
Sie sprechen sozusagen miteinander, haben ihr eigenes Leben.
Ich darf also mutig sein bei der Farbwahl, vieles kann ich mir vorher kaum vorstellen, ich kann es nur erleben.
Manche Farbe ist wie ein Gewürz in einer delikate Speise.
Ein kleiner Schuss von ihr macht die anderen umso kraftvoller oder raffinierter.
Als meine Meisterin damals aus Altersgründen Ihre Werkstatt aufgab, „erbte“ ich einen Teil ihres Seidengarns. Es schlummerte seit einigen Jahren in meinen Regalen und wurde jetzt durch einen aktuellen Auftrag herausgeholt.
Der Auftrag ist beendet, und ich nutze nun die restliche Kette für eine Zeitreise zurück zu meinen beruflichen Wurzeln. Schal um Schal schaue ich dabei zu, wie die Farben sich ordnen, miteinander in Beziehung treten und leben.
Ich zeige diese neuen Schals auf meinen kommenden Ausstellungen im Künstlerhaus und in der Weihnachtsschau der Handwerksform Hannover.
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